Interview - Alexandra Horn

Digitale Transformation im Mittelstand

Interview mit Alexandra Horn, BVMW: Für die erfolgreiche Digitalisierung mangelt es dem Mittelstand noch an Fachpersonal und Know-How

Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW): Investitionsbereitschaft steigt mit zunehmendem Sicherheitsgefühl. 

Die digitale Transformation ist nicht erst seit letztem Jahr in aller Munde. Für viele Unternehmen ist jedoch immer noch nicht wirklich greifbar, welche Folgen die Digitalisierung konkret haben kann. Das belegt die aktuelle Konjunkturumfrage des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW). 

Demnach sind die Unternehmen laut Alexandra Horn, Leiterin des Kompetenzzentrums Mittelstand 4.0 des BVMW, durchaus aufgeschlossen und investitionsbereit. Es mangelt jedoch an Fachpersonal und Wissen. 

Alexandra Horn, die am 26. Februar bei der Relaunch Konferenz in Berlin zur Digitalisierung im Mittelstand sprechen wird, empfiehlt den Unternehmen daher dringend in externe Expertise zu investieren.

Salzig: Wo steht der Mittelstand in puncto Digitalisierung? Werden die großen Chancen gesehen? Oder überwiegen die Zurückhaltung, Ängste und Sorgen? Was ist Ihre Einschätzung? 

Horn: Bei der jährlichen Konjunkturumfrage des BVMW geht es unter anderem um die Frage, welche Rolle die Digitalisierung für die Unternehmen spielt. Die Studie bestätigt in den letzten zwei Jahren eine allgemein positive Entwicklung, was die Haltung des Mittelstands zur Digitalisierung angeht. Es gibt eine zunehmende Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, aber auch eine Bereitschaft zu investieren.

Salzig: Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diese positivere Grundeinstellung? 

Horn: Es gibt viele Initiativen rund um das Thema Digitalisierung – es ist omnipräsent. Der BVMW hat im Jahr annähernd 2.000 Veranstaltungen mit unterschiedlichen Formaten. Ein Großteil der Veranstaltungen greifen das Thema Digitalisierung auf.

Wenn wir mit dem Team des Kompetenzzentrums in die Unternehmen gehen, zeigen wir sehr konkrete Möglichkeiten und Digitalisierungspotenziale auf. Unternehmen wird dadurch sehr niederschwellig klar: Ich kann auch im Rahmen meiner Möglichkeiten digitalisieren. 

Diese Erkenntnis, das ein kleines Unternehmen mit kleinem Budget kleine Lösungen umsetzen kann, führt zu positiven Erfahrungen. Die positive Erfahrung dank Digitalisierungsmaßnahmen effizienter und effektiver zu arbeiten bietet uns dann die Möglichkeit, tiefer in das Thema einzusteigen und dann auch über digitale Geschäftsmodelle zu sprechen. Und das ist es, worum es uns eigentlich geht. 

Salzig: Der Begriff Digitalisierung wird ja fast schon inflationär verwendet. Dabei reden wir ja nicht erst seit 2017 über digitale Lösungen. Was ist denn nun so fürchterlich Neues daran? Was macht für Sie Digitalisierung 2018 aus? Vor allem vor dem Hintergrund ihres Lösungsweges mit den Unternehmen an einem praktischen und anschaulichen Ansatz zu arbeiten. 

Horn: Zum Einen gibt es die Digitalisierung, die sich um das Thema Industrie 4.0 und die Vernetzung der Maschinen dreht. Wir wissen, dass diese Art von die Vernetzung nicht neu ist. Natürlich kann und sollte auch in diesem Bereich die Vernetzung weiter voranschreiten. Man kann sich immer noch mehr vernetzen. Man sollte jedoch den Bereich der Dienstleister, immerhin ein Großteil der Unternehmen in Deutschland nicht außer Acht lassen.

Uns geht es aber vor allem um die andere Seite: die digitalen Geschäftsmodelle. Geschäftsideen, wie Facebook zum Beispiel, haben nichts mit vernetzten Maschinen zu tun. In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert das Thema Vernetzung in der Produktion, aber das ist nur ein Teilaspekt des Gesamten. Bundesweit gibt es etwa 30 Prozent produzierende Unternehmen. Was aber passiert mit den 70 Prozent Dienstleistern? 

Diese 70 Prozent schauen wir uns mit dem Kompetenzzentrum ganz genau an. Hier ist Digitalisierung viel mehr als das angesprochene Vernetzen. Es ist eine neue Denkart, ein neues Mindset, das in den Köpfen entsteht. Auch hier sind Aspekte vorhanden wie vernetzt zu arbeiten, Daten systematisch auszuwerten und über digitale Plattformen nachzudenken, global zu denken – etwas was einem Großteil der Mittelständlern mit bis zu 10 Mitarbeitern nicht so leichtfällt, weil sie doch sehr regional verhaftet sind. Das ist die Richtung, in die wir gehen wollen.

Salzig: Was sind aus ihrer Sicht die Megatrends bzw. technologischen Treiber, damit sich digitale Geschäftsmodelle auf Seiten des Mittelstandes entwickeln können?

Horn: Ich glaube es bleibt bei dem Punkt der systematischen Datennutzung. Eine Stärke des deutschen Mittelstandes sind Nischenprodukte, das ein oder andere Mal sogar ein Hidden Champion Produkt. Wenn wir uns das Digitalisierungspotenzial des durchschnittlichen Mittelständlers anschauen, dann fällt vor allem ein Aspekt ins Auge: das Ausschöpfen regionaler Geschäftsmodelle.

Wir fassen das unter dem Begriff „Smart Region“ zusammen. Wir sprechen viel über Smart Cities, ich persönlich finde Smart Regions aber noch viel interessanter. Der Mittelstand ist vor allem dezentral über Deutschland in vielen kleinen, auf den ersten Blick verlorenen Regionen verteilt. 


Hierzu ein Beispiel: Ein regionales Medienhaus hat sich im Zuge der Digitalisierung die Frage gestellt: Was ist eigentlich unser Geschäftsmodell und was kann es in Zukunft sein? Die Antwort: Wir sind Journalisten und produzieren regionalspezifische Informationen für unsere Leser. Von diesem Gedanken ausgehend war die Frage: Was können wir noch regionalspezifisch anbieten? Das ursprüngliche Geschäftsmodell der regionalspezifischen Informationsvermittlung ist so über völlig neue Produkte gewachsen, die im Prozess entstanden sind.

Wenn man diesen Gedanken auch auf andere Unternehmen überträgt und sich fragt: Was kann ich regional noch anbieten? Dann entstehen viele neue Dinge, die große Anbieter noch nicht unbedingt auf dem Schirm haben. Technologisch unterfüttert wird das Konzept sicher auch mit der systematischen Verwertung von Daten, die man hat. Das ist dann aber der andere Aspekt. 

Salzig: Vor allem Verlage haben ja mitunter das Problem, dass Journalisten und Redakteure so auf Print gepolt sind, dass sie nicht verstehen, was der Verlag anders machen möchte. Wie kann man dieses Mindset bei den Mitarbeitern positiv beeinflussen? 

Horn: In dem erwähnten Beispiel hat der gesamte Prozess zwei Jahre gedauert. Das Verlagsunternehmen hat sich gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut in einen intensiven Prozess begeben. Kleinteilig, in über 50 Workshops ist dann das Ergebnis entstanden, was wir heute sehen. Es war ein richtiger Kraftakt, der natürlich auch Ressourcen gebunden hat. Am Ende hat es sich gelohnt, da das Unternehmen so zu einer großen, innovativen Mediengruppe gereift ist, die sogar über die ursprüngliche Region Produkte anbietet.

Im Grunde ist die Antwort auf Ihre Frage, dass man erst einmal „Quickwins“ erzielen muss und so zeigt, dass auch eine transparentere Arbeitsweise ein Unternehmen weiterbringt. 
Im öffentlichen Diskurs ging es lange Zeit um die vernetzte Produktion und um die großen Unternehmen. Diese Diskussion wurde von den großen Dienstleistern geführt. Dass der Mittelstand sich da nicht angesprochen fühlt, darf niemanden wundern.


Wir versuchen herunter zu brechen, wie kleine Unternehmen mit einem kleinen Budget und einer kleinen Lösung Großes bewirken können. Man kann dieses Ziel erreichen, auch wenn es kleinteilige Arbeit erfordert. Wir versuchen Standardprobleme zu erfassen und daraus Standardlösungen zu erarbeiten. Dabei dienen andere Unternehmen als Vorbild. Sie verkaufen vielleicht ein anderes Produkt, aber im Ansatz ist die Idee eben sehr ähnlich. Dabei geht es dann nicht um die ganz großen Beispiele, sondern es geht um das Kleine mit großer Wirkung. Eine zunächst kleine Lösung ist übersichtlich und motivierend. Dann ist es nicht mehr das ganz große Thema „Digitalisierung“, sondern dann ist es greifbar und konkret.

Salzig: Lassen Sie uns bitte noch einmal einen Blick auf die Themen und Datenschutz werfen. Hier gibt es seitens der Unternehmen ja einige Vorbehalte, insbesondere, wenn es um das Thema Internationalisierung geht. Ist das typisch deutsch? Gehört dieses Sicherheitsbedürfnis zur DNA deutscher Unternehmer? 

Horn: Auf jeden Fall. Es gibt unzählige Studien zu den Hürden für die Digitalisierung im Mittelstand und bei den Ergebnissen ist das Thema Sicherheit immer ganz weit vorne. Zuallererst fehlt den Unternehmen oft das richtige Fachpersonal, an zweiter Stelle steht das Thema Sicherheit selbst und danach folgt meist die Finanzierungsfrage. In unserer Konjunkturumfrage erfassen wir auch immer die finanzielle Situation der Unternehmen. Die Finanzierungssituation in KMU hat sich in den letzten Jahren verbessert. Die Bereitschaft zu investieren hingegen aufgrund der Unwägbarkeiten noch nicht. 


Bisher war es so, dass das Wissen im Unternehmen lag. Neue Mitarbeiter wurden ins Unternehmen geholt und angelernt. Im Augenblick ist es aber so, dass das Wissen zur Digitalisierung nicht im Unternehmen liegt, sondern es muss immer jemanden extern hinzugezogen werden, beispielsweise in Form eines CDOs. Die Investitionsprioritäten liegen dementsprechend eher auf neuen Maschinen oder Projekten. Alles andere ist noch nicht wirklich greifbar für die Unternehmen.

Salzig: Wie lauten die drei wichtigsten Empfehlungen für mittelständische Unternehmen, um die Digitalisierung in Angriff zu nehmen? 

Horn: Der erste Tipp: Hol dir externe Expertise, du schaffst es alleine nicht! Das ist leider so. Mittelständlern fehlt hier meist das richtige Know-how. Der erste Schritt ist daher, sich von einer neutralen Stelle eine erste Orientierung zu verschaffen. Dafür eignen sich die Kompetenzzentren die von der Bundesregierung gefördert werden, sehr gut.

Gemeinsam mit neutralen Intermediären sollte das Unternehmen für sich die Frage beantworten: Was tut es für seine Kunden und warum tut es as? Welchen Mehrwert bietet man seinen Kunden durch die Leistung oder das Produkt, die oder das man anbietet. Diese Kernfrage tangiert auch die Frage der Sicherheit. Ein Unternehmer muss wissen, was den Wert seines Unternehmens ausmacht und wodurch dieser gefährdet ist. Die erste Frage kann er selbst beantworten, aber spätestens bei der zweiten fehlt der Gesamtüberblick für alle möglichen Risiken.

Jemand, der von außen aufs Geschehen blickt und sich mit digitalen Plattformen auskennt, kann das viel besser beurteilen. Vor allem die Frage: Wie ist dieser Wert gefährdet und wie kann ich diesen Wert schützen? Wenn wir über das Thema Sicherheit sprechen, fehlt oft das Bewusstsein, was unbedingt geschützt werden muss. Auch das Thema Datenschutzgrundverordnung treibt die Unternehmen wirklich um, weil sie erst langsam begreifen, was da eigentlich auf sie zukommt. Viele haben dafür noch keine Vorbereitungen getroffen.

Wichtig ist aus meiner Sicht aber, dass eine neutrale Instanz zu Rate gezogen wird. Andernfalls wiederholen sich vielleicht vergangene Misserfolge: Fehlinvestitionen, Frust oder einfach das Ausbleiben der versprochenen Effizienzsteigerung. Also genau das Gegenteil einer erfolgreichen Digitalisierung!

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